Yin und Yang

Leere und Fülle

Diesem Prinzip hat die Kampfkunst Taiji Quan ihren Namen zu ver­danken. Das Taiji stellt die Einheit der ihm inne­wohn­en­den Polaritäten Yin und Yang dar. Diese er­gän­zen und bedingen sich gegenseitig, können nicht isoliert werden und sind daher un­trenn­bar miteinander ver­knüpft. Es ist not­wendig einerseits klar zwischen Leere (Yin) und Fülle (Yang) zu differ­en­zieren und ander­er­seits die je­weil­ige Pol­arität zum Taiji ergänzen zu können, und zwar sowohl im eigenen Körper, als auch in der Einheit mit einem Gegner.

Yin-Yang

In der Interaktion mit einem Gegner steht die Yin-Qualität für die Fähig­keit auf einen Angriff mit Nachgeben re­a­gier­en zu können und damit den Druck ins Leere laufen zu lassen bzw. die En­ergie aufzu­nehmen und umzulenken oder in die Erde abzuleiten. In dem Maße, in dem sich da­rauf­­hin das Yang des Angreifers er­schöpft und er sich zurückziehen muss (Yin-Phase), wandelt sich das eigene Yin schließ­lich zum Yang. Nun folgt die eigene Expansions­be­we­gung, der „Yang-zu-Yin“ Um­kehr­punkt des Angreifers wird genutzt um die entstehende Leere sofort mit zuvor ent­liehener Energie aufzufüllen und den Gegner wenn möglich zu entwurzeln.

Die Anwendung des Yin/Yang-Prinzips in der Kampfkunst bedeutet also den Versuch, mit dem Gegner das Taiji zu bil­den, d.h. die Yin- oder Yang-Energie des Angreifers zu neu­tralisieren, indem man die Position der jeweils anderen Pol­arität einnimmt, so dass sich in der Ein­heit der beiden Part­ner die Kräfte zum Taiji ergänzen. Wenn der Part­ner Yin ist, ergänze durch Yang zum Taiji, wenn der Partner Yang zeigt, ergänze durch Yin zum Taiji. Zu jedem Zeit­punkt sollen sich Yin und Yang also zum Taiji ergänzen. Dies kann nur gelingen, wenn man ohne die Absicht auf jeden Fall entweder Yang oder Yin zu ge­brau­chen in die Aus­einandersetzung eintritt. Im Taiji Quan kommt man daher nicht weiter, wenn man versucht die Situation gemäß den eigen­en ge­dank­lichen Vorstellungen zu manipulieren. Statt­dessen muss man sich ganz auf die ge­ge­bene Situ­a­tion einlassen, in den Prozess ein­tau­ch­en und mit­schwim­men. Der Heraus­forderer liefert die Energie zur Lösung des Problems, diesem Energiefluss gilt es sich an­zu­schließen und keinen aktiven Widerstand zu bieten, um damit die Kon­frontation zu beenden. Verletzt ein Partner dieses Prin­zip in der Inter­aktion oder in sich selbst, so wird er aus dem Gleich­gewicht geraten.

Die Integration von Yin und Yang zum Taiji hilft uns, in Kon­flikt­situationen die Gegen­sätze zu transzendieren und zu erkennen, dass die beiden Konflikt­po­sitionen zwei Spezial­fälle (die beiden Pole) eines über­ge­ordneten größeren Ganzen sind, sich gegenseitig bedingen und nicht un­ab­hängig voneinander exis­tieren können.


Taiji Quan Klassiker
Substantiell (voll) und Nicht-substantiell (leer) soll­ten klar unter­schieden wer­den. In jedem Teil gibt es sowohl substan­tiell als auch nicht-sub­stantiell. Das Prin­zip von substantiell und nicht-substantiell wird auf jede Situation ange­wandt.
[Wee Kee Jin: Taijiquan Wuwei, S. 89: Chang San-Feng, Absatz 9.]

Kommentar von Wee Kee-Jin
Es ist essentiell, bei sich selbst wie auch beim Gegner sub­stantiell und nicht-sub­stantiell zu unter­scheiden. Wenn man Fajin (das Freigeben der ent­­spannten Kraft) vom rechten substantiellen Fuß ausführt, verlangt das Prinzip der kreuz­weisen Ver­­bindung, dass die Kraft durch den linken sub­stantiellen Arm frei­gegeben wird, und umgekehrt. Jin (die entspannte Kraft) sollte in die Wurzel des Gegners geleitet werden, die sich unter seinem oder ihrem sub­stantiellen Fuß be­findet. Wenn die sub­stantielle Kraft des Gegners auf irgendeinen Teil des eigen­en Körpers auftritt, muss dieser so­fort nicht-substantiell werden. Sub­stantiell und nicht-substantiell heißt nicht einfach, dass das eine links ist und das andere rechts, bzw. nach oben oder nach unten. Beides ist in jedem Teil des Körpers vor­handen und be­findet sich in ständiger Ver­änd­er­ung, gleicht aus und passt sich der je­weil­igen Situation an.
[Wee Kee Jin: Taijiquan Wuwei, S. 94: Diskussion von: „Chang San-Feng“, Absatz 9.]


[aus:  Peter Wolfrum: Taijiquan Prinzipien für Menschen in Unternehmen und Organisationen – Fundamentale Prinzipien der inneren Kampfkunst Taijiquan im Management anwenden.]

Sabine & Dr. Peter Wolfrum